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WOLLUST – DIE SCHÖNSTE TODSÜNDE – LESUNG VOM 6. APRIL 2019

Zichy, Sammlung Hans-Jürgen Döpp
Michaly Zichy, Sammlung Hans-Jürgen Döpp, http://www.aspasia.de

Sexuelle Empfindungen und sexuelle Aktivitäten hängen mit der Befriedigung zentraler menschlicher Bedürfnisse zusammen. Sie zeigen eine große Variationsbreite sowohl in der Intensität des Erlebens als auch im Spektrum des sexuellen Verhaltens. Das sinnliche Verlangen kann einen Menschen gelegentlich derart überwältigen, dass dieser für Stunden, Tage oder sogar Wochen das Gefühl hat, nicht mehr Herr seiner selbst zu sein. „Mit Wollust zu leben ist, als wäre man an einen Geistesgestörten gefesselt“ – sagt Philosoph Simon Blackburn in seinem Essay „Wollust. Die schönste Todsünde.“ Und er betonnt, dass so etwas wie kontrollierte Ektase gar nicht gibt, wenn man vor Lust die Erde beben spürt. So ergeht es auf jeden Fall auch dem Protagonisten des Romans „Morbus Fonticuli“ von Frank Schulz, der der sexuellen Energie und dem üppigen Körper der Exfloristin Bärbel verfällt und dabei Verstand und Stellung verliert. Seine auserwählte scheint ein Archetypus der lustvollen Frau zu sein, die sich um nichts anderes, als um sinnliches Vergnügen kümmert:

«Sie war eine Holly Golightly aus der Provinz. Sie war eine der wenigen Frauen ohne Handtasche, die ich kannte; Geld trug sie lose in den Jeans beziehungsweise, wenn sie ein Kleid anhatte, in den Stiefelchen, im Slip oder im Dekolleté. Scheine, versteht sich. Münzen verwendete sie – und keineswegs erst zur Zeit ihres gerade zu spät venezianischen Lebensstils als prosperierende Geschäftsfrau – als Trinkgeld und Almosen, oder sie schenkte es Kindern. Sie rannte einfach so in der Gegend herum, nichts am sensationellen Leib als das Nötigste. Im Sommer lief sie barfuss, den Haustürschlüssel am Halskettchen, darüber ein leichtes Fähnchen: ohne Geld, ohne Sorgen, ohne Verlegenheiten. Fast immer fand sich ein lüsterner Grünschnabel, ein Marktbeschicker oder Schornsteinfeger, ein Intellektueller Stromer oder chevalesker Frührentner, der sich Schwachheiten einbildete und ihr ein Eis oder ein Glas Sekt spendierte. Sie lebte in den Tag und in die Nacht hinein, nicht nur in die Samstagnacht wie so viele ihre Altersgenossen.» Gab es für diese Romanfigur ein reeller Prototyp oder handelt es sich um reine Phantasie des Autors und die männliche Phantasie schlechthin?

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John Coller, Lilith 1887

Die 1,5 Stündige Lesung „Bärbel Episoden – oder die Fesseln der Wollust“, die am 6. April in meinem Salon stattfinden wird, bietet eine Auswahl der aufregendsten sinnlichen Abenteuer von Bodo und Bärbel. Faszinierend und fesselnd sind dabei nicht nur die sonderbaren Freilichtakten und originellen Szenarien der sinnlichen Begegnungen, sondern die Dynamik der gegenseitigen sexueller Herausforderung. „Wollust ist hier wie gemeinsames musizieren, wie eine harmonische Symphonie aus Freude und entsprechender Reaktion“ – beschreibt Blackburn eine glückliche Liebesbegegnung, was auch auf Bodo und Bärbel zutrifft. Hier finden beide nicht in erster Linie Gefallen an sich salbt, sondern an der Erregung des anderen. Die Liebesszene auf der Köhlbrandbrücke gehört mit Sicherheit zu den gewagtesten Liebesszenen der Literatur. Wer dran Anstoss nimmt, dem sei erinnert, dass selbst der griechische Philosoph Diogenes den Geschlechtsakt als natürlich angepriesen hat, und um dies zu beweisen ihn mit seiner Frau Hipparchia auf den Treppen des Tempels sich in aller Öffentlichkeit zu treiben pflegte. Eindrücklich und sprachlich gewandt ist auch das Zugeständnis der Protagonisten des Romans für die gemeinsame Vorliebe für Lingerie, das die These vom Blackburn bestätigt, dass Wollust im wesentlichen die Vorfreude auf sexuelle Aktivität sei.

Der Text von Schulz verquirlt Nonsens und Kalauer, Ironie und Sarkasmus, Satire und Parodie, und ist – in der hervorragenden Interpretation des Schauspielers Ulrich Vogel – ein furioses Hörvergnügen. Nach der Lesung findet eine moderierte Diskussion darüber, ob und unter welchen Umständen sexuelle Impulse die Kraft besitzen unsere Willensprozesse zu durchkreuzen.

Teilnehmer*innen Zahl ist auf 18 Personen beschränkt. Anmeldung bis 6. März an salon@beatasievi.ch. Bitte bei Anmeldung eine volle Anschrift angeben.

Datum: 6. April 2019, 17-21 Uhr, Eintrittspreis: CHF 65 Neugäste/ CHF 55 Stammgäste inkl. Konsumption (Prosecco, Wein, Kafé, Tee, Salziges und Süsses. Ort: Salon-Bibliothek von Beata Sievi, Winterthur

April 2019

Information über den Schauspieler:

Ulrich Vogel wirkt als Schauspieler, Sänger, Sprecher, Kabarettist und Bühnenbildner im Raum Karlsruhe – Frankfurt. Die Bühnenreife erlangte er am Staatstheater Karlsruhe.
Von 1992 – 2005 war er am Theater der Stadt Heidelberg als Schauspieler engagiert. Dort gewann er auf Grund seiner stimmlichen Fähigkeiten, auch spartenübergreifend, als Sänger ein treues Publikum. Daneben hat er sich durch zahlreiche, vor allem auch erotische Lesungen im Frankfurter Venusberg, einen Namen als gefragter Vorleser gemacht. Derzeit arbeitet er freiberuflich mit Wohnsitz in Karlsruhe.

Michaly Zichy, Sammlung Hans-Jürge Döpp
Michaly Zichy, Sammlung Hans-Jürgen Döpp, http://www.aspasia.de

 

 

 

 

„Paradies im Boudoir?“ – Salonbericht Teil 1

 

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La Trompetina – Antoine Pesne, Sammlung August Ohmm

„Die Natur muss wohl in sich unvollkommen sein, wenn sie uns eine Neigung eingibt, die das Gesetzt verdammt. Oder das Gesetz ist ein zu strenges Gesetzt, wenn er eine Neigung verdammt, die uns die Natur eingibt.“  Dreux du Radier, Dictionaire d`amour.

Die ersten Texte des Salons vom 14. Januar einführten uns in das Zeitalter des Rokokos. Vier hypothetische Briefe zwischen zwei literarischen Gestalten – dem Graf Valmont und der Fanny Hill beinhalten authentische Informationen über die erotische Kultur der Epoche und die Philosophie des Libertinismus. Durch das ungehemmte Ausleben der Sexualität will Libertinismus den von der Aufklärung errungenen Anspruch des Menschen auf irdisches Glück einlösen. In den Briefen werden Begegnungen erwähnt, die ausschliesslich auf die Befriedigung der sinnlichen Lust ausgerichtet sind. Das ist typisch für Libertinismus, der in den starken Gefühlen der Zuneigung eine Gefahr der geistigen Verwirrung sah und versuchte das Risiko des Leidens dadurch zu mindern, dass er die Liebe auf pure Sexualität reduzierte. (1)
Auch heute noch kann die erotische Literatur – die Tagebücher und Korrespondenzen und die erotische Kunst des 18.Jh. – Zündstoff für unsere Fantasie bieten. Wir können uns dabei die Frage stellen, unter welchen Umständen wir bereit sind, den Trieben, unabhängig von der Liebe, nachzugeben und was wir  dabei gewinnen. Welche Sehnsucht wird angesichts der lustvollen Szenarien lebendig ? Gleichzeitig empfinden einige von uns ein Unbehagen, insbesondere wenn diese Fantasie zum Programm wird. Wofür stehen unsere Befürchtungen ein?

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Christophé 1916, „Venus und Tannhäuser“, Sammlung Hans-Jürgen Döpp

 

In der heutigen Zeit finden wir ein Übermass an Angeboten für einen unverbindlichen Sex mit Unbekannten. Sowohl in den Annoncen als auch in direkten Begegnungen von Mann und Frau, wird oft eine Trennung der Sexualität von Gefühlen als erstrebenswert und als psychologisch realistisch angesehen. Diese Trennung zielt, meiner Ansicht nach, darauf ab den möglichen emotionellen Schmerz des allfälligen Verlustes oder die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Du zu vermeiden. Darin sehe ich eine Ähnlichkeit zwischen der heutigen Zeit und dem Libertinismus des 18 Jh. Es ist erstaunlich, dass sich in Bezug auf diese Angst vor der emotionellen Verletzung seit Jahrhunderten so wenig in unserer Kultur verändert hat.

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Radierung aus dem 1750, Sammlung: Hans-Jürgen Döpp

Gleichzeitig scheint mir die erotische Kultur des Rokokos sich durch mindestens zwei Elemente von der modernen Promiskuität zu unterscheiden. Zum einen zeigt sie grössere Fantasie und Ästhetik in der Gestaltung der luststeigernden Rituale – es werden alle Sinne mit einbezogen und es fehlt nicht an Rollenspielen und raffinierten theatralischen Szenarien – zum anderen spielen sich die Rituale im Kreise sich kennender Menschen, die der gleichen Gesellschaftsschicht – dem Adel – angehören. Promiskuität dürfte in diesem Fall ihre ursprüngliche Bedeutung feiern, die sie noch in der neolithischen Zeit hatte – die Stärkung der Zusammengehörigkeit. Mit diesem Aspekt sich heute anzufreunden, dürfte eine schwierigere Herausforderung sein, als die Gefühle und dem Trieb zu trennen.

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Emile Wattier, Das kleine Abendmahl des Regenten

Die Zeit der Aufklärung brachte auch eine intensive medizinische Auseinandersetzung mit den gesundheitlichen Aspekten der Sexualität, deren Echo wir in den zwei letzten Briefen hören. Die Wichtigkeit der sexuellen Erfüllung der Frau wird anerkannt und es wird ihr oft das grössere erotische Potential zugesprochen. Grund dafür sollte die Beschaffung der Organe sein, welche keine natürliche Grenze darstellt. Obwohl in Ansätzen fortschrittlich, zeugt der Diskurs noch immer von einer vorherrschenden Furcht vor der weiblichen Sexualität und generell vor Sinnlichkeit. Der Konflikt zwischen den Folgen der übermässigen Lust auf der einen Seite und der Enthaltsamkeit auf der anderen, wurde von den Medizinern dadurch gelöst, dass sie die Sinnlichkeit in die Schranken der Ehe verwiesen. (2)

 

Literaturnachweis:

1,2)« Paradies im Boudoir – Glanz und Elend der erotischen Libertinage im Zeitalter der Aufklärung » – Peter Prange, Marburg 1990
Bei der Lesung vom 14. Januar wurden ausserdem Fragmente aus folgenden Büchern berücksichtigt:

«Fanny Hill, Erlebnisse eines Freudenmädchens. John Cleland, 1749
« Gefährliche Liebschaften – Frankreich zu Zeiten der Libertins « Jacqueline Queneau, Jean-Yves Patte, 2002
« Correspondance de Madame Gourdan «, Anonym (Madame Gourdan, dite La Comtesse)