Philosophie über den Liebesschmerz

 

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„Die Liebeskranke“ – Jan Steen

Das Thema des nächsten Salons ist die schwierige Liebe. Der Liebesschmerz hat zahlreiche Façetten – am Salon-Abend vom 4. November möchte ich mich vor allem dem Schmerz nicht erwiderter Liebe widmen. Damit meine ich sowohl eine Liebe, die auf Ablehnung stösst als auch eine Liebe, die nicht so erwidert wird, wie wir es ersehnen und die dennoch nicht aufgegeben werden kann. In meinen nächsten Artikeln möchte ich auf einige philosophische und soziologische Betrachtungen zu diesem Thema aufmerksam machen. Mein Fokus liegt dabei bei der Frage, welche Aspekte unseres Empfindens  durch unsere individuelle Geschichte und welche durch die kulturelle Prägung bedingt sind.

Jean-Luc Marion und die Apologie der unerwiderten Liebe

Romantische Liebe wird heute vor allem mit geteilter Euphorie und einem intensiven Glücksgefühl assoziiert. Wer ohne Gegenseitigkeit liebt, wird als unglücklich, emotionell unreif und therapiebedürftig angesehen. Diese Auffassung der Liebe stellt die Ökonomie des Wohlbefindens und das Diktat der Reziprozität in den Vordergrund. Sie zeugt von einem kulturellen Wandel der sich in unserer Kultur in den letzten 100 Jahren vollzogen hat. Ob wir eine Liebe, die nicht auf Gegenseitigkeit stösst als Schicksalsfügung oder als eine persönliche Niederlage auffassen, hängt wesentlich von unseren soziokulturell bedingten Erwartungen ab. Wie Eva Illouz sagt: « Soziologisch formuliert heisst dies, dass Leid durch kulturelle Definitionen des Selbst vermittelt ist.» Folglich kann ein Umgang mit dem Schmerz der Leidenschaft in einer bestimmten Epoche entweder als sinnvolle Erfahrung erachtet werden und zu innerer Bereicherung verhelfen – oder zu inneren Konflikten und zerstörerischem Gefühl der existentiellen Ausgrenzung führen.

In seinem Essay „Das Erotische. Ein Phänomen“ stellt der französische Philosoph Jean-Luc Marion eine unzeitgemässe Frage nach der Berechtigung einer Liebe, der keine Sicherheit der Erwiderung vorausgeht: – „Kann ich selbst als erster lieben, ich zuerst?“ In seinen Augen besteht daran kein Zweifel – im Gegenteil – was in der heutigen Beziehungskultur als Schwäche bezeichnet wird, definiert der Autor als ein Zeichen der einzigen wahren Liebe, die nichts mit einer Einschränkung der Freiheit gemeinsam hat. „Die unvergleichbare und unwiderlegbare Souveränität des Liebens erhält ihre Macht daraus, dass sie sich so wenig von der Reziprozität tangieren lässt, wie sie sich von der Gegenleistung für eine Investition anstecken lässt“.

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Gerard Terborch – „Reeding a letter“

Der französische Philosoph ist der Überzeugung, dass Liebe nicht erwidert werden muss um als vollendet empfunden zu werden – wie ein Geschenk, das seinen Wert nicht verliert, auch wenn es nicht angenommen wird. Allen Menschen, die in unerwiderter Liebe einen Verlust sehen wollen, gibt er zu bedenken, dass nur derjenige verliert, der sich der Liebe entledigt. Dem Liebenden bleibt hingegen das wichtigste – die Liebe selbst – erhalten, wenn immer er sich dafür entscheidet. Ohne Gegenleistung und ohne Rücksicht auf das eigene Wohlergehen zu lieben bedeutet somit ein Wagnis und ist der grösste Liebesbeweis.

Diese Vision der Liebe scheint eine ganz andere Konstruktion des Selbst vorauszusetzen, als wir sie heute erleben – ein Selbst, dass in sich ruht und nicht auf die Bestätigung von aussen angewiesen ist. Sie ruft ein Ideal der höfischen Liebe in Erinnerung. Sowohl den Trobadoren, als auch den Liebenden bis in das 19. Jh. war nicht nur die Angst vor der Zurückweisung fremd – viele waren sogar in der Lage das Liebesleid in eine erhabene Erfahrung umzuwandeln, die die Seele läutert.

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Emile Levy – „Love letter“

Interessant sind die Ausführungen des französischen Philosophen zu Verknüpfungen von Liebe, Vernunft und kognitiven Fähigkeiten. Wann tritt die Liebe überhaupt in Erscheinung? Jean-Luc Marion sieht den wahren Anfang der Liebe genau in dem irrationalen Moment, in dem wir uns ohne Garantie und Sicherheit auf jemanden einlassen und unseren Gefühlen Raum geben.

„So wie ein Krieg letztlich ohne Grund ausbricht (…) so lässt der Liebende die Liebe ausbrechen. Er erklärt seine Liebe, so wie man den Krieg erklärt – ohne Grund. Das heisst manchmal sogar, ohne sich die Zeit zu nehmen oder Sorge dafür zu tragen, eine offizielle Liebeserklärung zu machen.“

Solche Hingabe kann nur jemand erfahren, der den Anspruch auf die Kontrolle über seine Gefühle aufgegeben hat. In einer Welt, in der die Partnerwahl immer mehr den rationalisierten Kriterien unterliegt fällt uns zunehmend schwer die Ohnmacht der Vernunft zu akzeptieren und den eigenen Empfindungen zu vertrauen. Für Jean-Luc Marion hingegen hat die Abwesenheit der Vernunft in Sachen Liebe etwas Natürliches: „Der Liebe mangelt es an Vernunft in dem Masse, wie es einem an Luft mangelt, je höher man auf den Berg steigt. Die Liebe weist die Vernunft nicht zurück, sondern die Vernunft selbst weigert sich, bis dahin zu gehen, wo der Liebende hingeht (…) Wenn es ums Lieben geht, reicht die Vernunft nicht aus».

In Konsequenz definiert Marion Liebe kaum als ein Gefühl, das von dem besonderen Wert des Liebesobjektes herrührt. Wer als erster liebt, liebt sogar oft ohne die genaue Kenntnis seines Objektes – er liebt nicht weil er kennt, sondern er erkennt das ausgewählte Wesen erst in dem Masse in dem er es liebt.

Die Erörterungen vom französischen Philosoph legen die Frage nahe, wer zu einer Liebe, die sich nur auf Intuition verlässt, keine Gegenseitigkeit voraussetzt und zu leidvollen Erfahrungen bereit ist, fähig sei. Wie konstituiert sich eine Persönlichkeit, die zu Bindung fähig, jedoch nicht auf eine kontinuierliche Anerkennung angewiesen ist? Kann unsere Kultur überhaupt einen geeigneten Hintergrund für eine solche persönliche Entfaltung und Liebe bieten? Ich hoffe, Antworten auf diese Fragen bei der Soziologin Eva Illouz zu finden, und zwar nicht nur in ihrem Buch «Warum die Liebe weh tut» sondern auch in Ihrem Vortrag «Die neue Liebesordnung» dem ich in wenigen Tagen in Salzburg beiwohnen werde.

***

Literatur:

Was ist Liebe? Philosophische Texte von der Antike bis zu Gegenwart – Reclam Verlag 2015

Das Erotische. Ein Phänomen. Sechs Meditationen – Jean-Luc MarionVerlag Karl Alber, Freiburg in Breisgau 2011

Warum die Liebe weh tut – Eva Illouz, Surkamp 2016

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Caspar David Friedrich – „Wanderer über dem Nebelmeer“

Der nächste  Salon-Abend findet am 4. November statt und ist den unglücklich Liebenden gewidmet. Mark Schneider und Julia Knapp lesen aus Briefen und Literatur. Beata Sievi beleuchtet das Thema aus der wissenschaftlichen Sicht und moderiert die Salon-Diskussion. Zeit: 17-21 Uhr. Ort: Winterthur. Genaue Adresse wird bei Anmeldung angegeben. Preis inkl. Konsumation CHF 55.00. Weitere Informationen finden Sie hier. Anmeldung bis 20. August unter atelier@entrenous.ch ist erforderlich.

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