„Das Elend der Liebe“ – Eva Illouz über die gescheiterte Emanzipation in erotischen Beziehungen

von Beata Sievi

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„Die Schöne und das Biest“ Illustrationen von Walter Crane 1874

Eva Illouz, Soziologie-Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, hielt am 30. Juli 2017 den Eröffnungsvortrag der Veranstaltungsreihe „Schauspielrecherchen“, im Rahmen der Salzburger Festspiele. Das Thema „Macht“ stand in diesem Jahr im Fokus aller Festspiel-Inszenierungen. Es war für mich ein besonderes Erlebnis dem Vortrag der berühmten Soziologin beizuwohnen.

Liebesideal als Verschleierung der Machtverhältnisse

In der Einleitung des Vortrags erwähnte Eva Illouz den grossen Erfolg des Bestsellers „Fifty Shades of Grey“, den sie bereits in ihrem Essay „Die neue Liebesordnung“ zum Spiegelbild der zeitgenössischen Beziehungskultur deklarierte. Obwohl sehr trivial geschrieben, wurde dieser Roman in kurzer Zeit zu einem Verkaufsschlager. In den Augen von Eva Illouz sind erfolgreiche Bücher so etwas wie ein Barometer für die Normen und Ideale einer Gesellschaft. Der Erfolg von „Fifty Shades of Grey“ verrät somit etwas Wichtiges über die Sehnsüchte und Wünsche unserer Zeit. Frauen sind vermehrt wieder bereit sich in einer Beziehung der Dominanz eines Mannes unterzuordnen. Die ökonomische und politische Emanzipation wurde offensichtlich nicht konsequent genug in der Privatsphäre umgesetzt, weshalb die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb von Liebesbeziehungen scheitert.

Exemplarisch für die Machtkonstellation in den heutigen Liebesbeziehungen ist nicht nur der erwähnte Kitsch-Roman, sondern auch die Popularität des Filmes „Die Schöne und das Biest“. Innerhalb von 24 Stunden erhielt der Trailer der neuen Verfilmung 91 Millionen Klicks. Die Tatsache, dass diese Geschichte mehrfach adaptiert wurde und sich bis heute einer so grossen Popularität erfreut, besagt – laut Eva Illouz – etwas Fundamentales über das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der westlichen Kultur.

Die von Disney adaptierte auf einem französischen Volksmärchen basierende Geschichte, lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen: Eine kluge und anmutige junge Frau führt mit ihrem Vater ein beschauliches Leben, das nur durch die Avancen eines Dorfschönlings getrübt wird. Als der Vater der Schönen auf einer Reise in die Fänge eines Ungeheuers gerät, bietet die junge Frau ihre Freiheit im Austausch gegen das Leben des Vaters an. Das Ungeheuer ist in Wirklichkeit ein junger Prinz, der als Strafe wegen seiner Kaltherzigkeit in ein hässliches Wesen verwandelt wurde. Dieses Wesen ist größer und stärker als ein normaler Mensch und ist vollkommen mit Fell bedeckt. Aus Wut und Hoffnungslosigkeit ist es zunächst jähzornig, gewalttätig und grausam. Die Schöne gewinnt mit der Zeit, trotz ihrer Furcht das Biest für sich. Sie führt ein luxuriöses Leben in einem Schloss, lernt hinter die abscheuliche Fassade des Mannes zu blicken und erkennt seine wahre Schönheit.

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„Die Schöne und das Biest“ Illustrationen von Walter Crane 1874

Dieses Motiv – in unterschiedlichen Versionen seit 600 Jahren in unserer Kultur präsent – in dem wir ein entferntes Echo der Mythen über Eros und Psyche oder Aphrodite und Hephaistos vernehmen, impliziert, dass die Tugend der Frauen an ihrer Fähigkeit zu messen ist, das Unerträgliche zu erdulden. Mit ihrer Liebe sollen sie die Verwandlung des Hässlichen und des Groben bewirken. Diese grundlegende Fantasie über eine mögliche Überwindung der männlichen Macht durch liebevolle Hingabe hat dazu beigetragen, die Machtverhältnisse zu verschleiern. Mit Hilfe solcher Geschichten wie: «Die Schöne und das Biest» wurden Frauen – als einzige soziale Gruppe in der Geschichte der Menschheit – erfolgreich dazu erzogen ihre Unterordnung nicht nur zu dulden, sondern sogar zu lieben.

"Die Schöne und das Biest" Illustrationen von Walter Crane 1874
„Die Schöne und das Biest“ Illustrationen von Walter Crane 1874

Eva Illouz ist erstaunt, dass Frauen heute immer noch diesem kulturellen Auftrag folgen. Als Beispiel führt sie die Tatsache an, dass der misogyne Donald Trump, sein Wahlsieg zum grossen Teil den Frauen verdankt – er erhielt 53 % aller Stimmen von der weiblichen Bevölkerung. Wie kommt es, dass Frauen gegen das abfällige Verhalten der Männer blind sind? – fragt die Soziologin. Was macht „das Biest“ so anziehend? Wie konnten Frauen ein Staatsoberhaupt wählen, das sie als minderwertig bezeichnet? Warum ignorieren sie die auf sie gerichtete psychische Gewalt?

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Petrus Gonsalvus und seine Frau Catharina

Die Soziologin sieht die Antwort in der Macht der kulturellen Prägung. Nicht nur Märchen, sondern auch Romane, wie die von Emily Brönte und Jane Austen enthalten Geschichten von unerträglichen Männern, die durch die Liebe einer Frau Wandlung erleben. Die These von Eva Illouz wird notabene durch populäre psychologische Ratgeberliteratur und Online-Selbsthilfe Angebote gestützt. Beispiel dafür sind z.B. Frauenseminare mit dem Titel: „Wie heile ich einen Mann von der Bindungsangst“. Hier empfehlen die Autoren und Coaches nicht nur die Liebe und Geduld. Auch die Erkenntnisse der Psychologie und Psychotherapie werden dazu eingespannt, um Frauen zu helfen ihren Auftrag zu erfüllen und den Mann von der modernen Variante seiner Widerspenstigkeit – der Beziehungsunfähigkeit – zu befreien.

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Louise Brooks als Lulu im Film „Die Büchse der Pandora“ aus dem Jahr 1929

Die scharfsinnige Soziologin hinterfragt, was die Gefangenschaft für Frauen subjektiv akzeptabel macht. Ist es die Sorge um die Sicherheit ihrer Nachkommen, die sie alleine nicht gewährleisten können? Oder der Reiz des materiellen Reichtums, welchen zu erwirtschaften sie selbst nicht  in der Lage sind? Da die politische Macht und ökonomische Mittel immer noch überwiegend in den Händen von Männern liegen – so Eva Iloouz – sind Frauen dazu gezwungen oder geneigt Sex gegen soziale und ökonomische Sicherheit zu tauschen. Dies macht aber die Liebe für sie zu einer tief verwirrenden Erfahrung. Die Hoffnung, für ihre Hingabe Gleichheit und Würde zu erlangen, hat sich seit Jahrzehnten nicht erfüllt! Die israelische Soziologin erkennt die Bespiele dafür in den Salzburger Inszenierungen. Für Rose Bernd, die Protagonistin des gleichnamigen Dramas von Gerhard Hauptmann (1903) erweist sich die ohne des Schutzes der Ehe gelebte Sexualität als gefährlich. Rose`s Versuch, sich aus der Abhängigkeit von den Männern zu lösen, endet tragisch. Eine andere weibliche Figur – femme fatal Lulu im Drama „Die Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind (1902), behält hingegen die Kontrolle über ihre Gefühle und somit auch die Macht über die Männer. Sie kommt zum Schluss, dass die Prostitution eine ehrlichere Version des Tauschhandels zwischen den Geschlechtern ist, als die Ehe und sucht die Liebe in einer Beziehung zu einer Frau. Dennoch endet auch ihre Geschichte nicht gerade glücklich. Im Patriarchat, das Frauen dazu zwingt, den Regeln des Austausches zu folgen – konkludiert die israelische Soziologin – ist Prostitution ihrem Wesen nach der Institution der Ehe sehr nahe.

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Louise Brooks als Lulu im Film „Die Büchse der Pandora“ vom 1939

Eros in der Postmoderne

Welche Alternativen gibt es? Die durch Feminismus erkämpfte neue Form der Gleichstellung konnte die Hoffnung auf Befreiung nicht einlösen. Zudem macht sich eine Abkühlung der Verhältnisse zwischen Frauen und Männern breit. „Die neuen Verhaltensregeln, die von einem Mann verlangen vor jeder erotischen Handlung einen Konsens einzuholen, haben Leidenschaft und spielerisches Verhalten zwischen Männern und Frauen zum Scheitern gebracht.“ – stellt die Soziologin fest und zitiert Daphne Merkis: „Die Gleichheit zwischen Männern und Frauen, ja selbst ihr Anschein erfordert eine Menge Arbeit und dürfte nicht immer der sicherste Weg sein, um sexuelle Reize auszulösen.“ Gleichheit führt offenbar zum Verlust des qualitativen Unterschieds zwischen Frauen und Männern und resultiert in flachen Verhältnissen, denen es an der Kraft der Transzendenz mangelt.

Im erotischen Kontext scheinen selbst die emanzipierten Frauen sich nach selbstsicheren Männern zu sehnen, die mit Selbstverständlichkeit sexuale Initiative ergreifen. Daher sprechen sie auf die romantischen Praktiken der vergangenen Epochen an oder aber auf die Szenarien des „Fifty Shades of Grey“.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass diese Verführungs-Szenarien auf einen Verhaltenskodex der Vormoderne beruhen, in dem die Bindungen in einem feudalen Gesellschaftssystem verankert waren – schreibt Eva Illouz in ihrem Essay „Die neue Liebesordnung“ – „Die Männer beherrschten die Frauen, was bedeutete, dass sie ihre sexuellen und häuslichen Dienste in Anspruch nahmen und die Frauen im Gegenzug beschützten .(…) Die Ungleichheit bzw. das aus ihr abgeleitete Verhältnis vom beschützenden Mann und der abhängigen Frau verfügte zweifellos auch über angenehme Aspekte, von denen einer in der Klarheit der Geschlechterrollen bestand.“ Zudem, haben in Augen der Soziologin, die Regeln des Werbeverhaltens zu der Ästhetisierung der männlichen Macht in unserer Kultur beigetragen. Die Verehrung und Ehrerbietung, die ein Mann gemäss den romantischen Vorbildern einer Frau entgegenbringt, hebt seine Macht vorübergehend auf. Die erotische Anziehung wird so durch eine spielerische Umkehrung der bestehenden Ordnung erzeugt. Feministische Praktiken, die ein solches Verhalten verbieten und die Macht als solche thematisieren, verderben das Spiel der Verführung.

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„Die Schöne und das Biest“ Illustrationen von Walter Crane 1874

„Bis anhin stand die Macht in unserer Kultur im Zentrum der Liebe und Verführung“ – stellt Eva Illouz resümierend fest. Wenn wir nach erotischem Vergnügen suchen, greifen wir immer noch auf die alten Szenarien zurück. Gleichzeitig stehen wir heute an einem historischen Wendepunkt und wollen Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekt zwischen den Geschlechtern etablieren. Dieser Moment verlangt nach einer neuen Form der Erotik.

Auf meine Frage, wie diese Wende herbeigeführt werden könnte, antwortete die Soziologin, dass es eine Aufgabe der Kultur sei, im Gegensatz zur Verfilmung von „Die Schöne und das Biest“ – moderne Geschichten hervorzubringen. Es besteht ein grosser Bedarf nach attraktiven Erzählungen, die auf einem neuen Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern beruhen. Diese Herausforderung kann nur gemeinsam von Frauen und Männer erfolgreich gemeistert werden.

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