Dieser Artikel ist eine Einleitung zu dem gleichnamigen Vortrag den ich am 8. Mai für Freidenker/innen Verein in Winterthur und am 27.Oktober in meinem Salon gehalten habe.

Sexuelle Empfindungen und sexuelle Aktivitäten hängen mit der Befriedigung zentraler menschlicher Bedürfnisse zusammen. Sie zeigen eine große Variationsbreite sowohl in der Intensität des Erlebens als auch im Spektrum des sexuellen Verhaltens. Das sinnliche Verlangen kann einen Menschen gelegentlich derart überwältigen, dass dieser für Stunden, Tage oder sogar Wochen das Gefühl hat, nicht mehr Herr seiner selbst zu sein.
Diese Heftigkeit des sexuellen Begehrens und die Vielfalt der Praktiken machen es oft schwer, die Grenzen zwischen >Normalität< und >Abweichung< eindeutig zu ziehen. Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, wenn uns genau dieses Problem seit Menschengedenken bewegt: Dichter und Denker waren vielfach damit beschäftigt, sexuelle Grenzerfahrungen in Worte zu kleiden, Maler und Bildhauer haben ihm bildliche Formen verliehen. Immer schon waren Mächtigere – seien es Stammesführer, Herrscher, Gerichte, Kirchen, Religionsgemeinschaften oder Wissenschaftler – darauf bedacht, Normen und Regeln für akzeptierbare Sexualität zu formulieren und diese durchzusetzen. Diese Vorschriften hatten nicht nur eine restriktive, sondern auch eine beschützende Funktion. Auch wenn der Mensch im Verlaufe der Geschichte die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickelt hat, begegnet er trotzdem in der Sexualität teilweise seiner biologisch-animalischen Natur.
,,Die kulturelle Überfärbung der sexuellen Antriebe gehört sicherlich ebenso zu den ursprünglichen Kulturleistungen und Existenzerfordernissen des Menschen wie Werkzeug und Sprache, ja, es spricht nichts dagegen, in dieser Regelung die primärere Sozialform jeglichen menschlichen Verhaltens zu erblicken.“
Helmut Schelsky
Der heute allgegenwärtigen Begriff »Sexualität« wurde erst 1820 vom Botaniker August Henschel (1790-1856) in einer Studie über die Vermehrung der Pflanzen in die Wissenschaft eingeführt. Heute ist die Sexualität des Menschen als eigenständiges Fachgebiet an den Universitäten etabliert.
In meinem Vortrag werde ich mich mit der Geschichte sexueller Anpassung im Abendland befassen. Zum besseren Verständnis, möchte ich zuerst auf die im Titel erwähnte Gegenüberstellung von Kultur und Natur eingehen.


Wenn wir die Einflüsse der „Natur“ gegen die der Kultur abwägen: Worüber reden wir eigentlich?
Entwicklung von Lebewesen, und so auch die Entwicklung des sexuellen Verhaltes lässt sich auf zwei Ebenen betrachten:
Die Phylogenese (wörtl. “Entstehung der Gattung”) ist die Entwicklung von Lebewesen im Sinne der biologischen Evolution und wird auch Stammesgeschichte bezeichnet. Hier fragen wir, ob dieser oder jener Unterschied der biologischen Veranlagung, der heute zwischen Frauen und Männern besteht, die Frucht einer „rein natürlichen“ Entwicklung des kulturellen Selektionsdrucks ist. Im Bezug auf Sexualität werden hier z.B die Auswahlstrategien für den Sexualpartner oder die Bedeutung von Orgasmus diskutiert.
Die Ontogenese auch als Individualgeschichte bezeichnet, ist die Entwicklung des Individuums vom Embryo zum Erwachsenen. Hier wird das Zusammenspiel von genetischen Anlagen und Kultur d.h. des sozialen Umfelds, in dem sich der Mensch entwickelt hat, untersucht. In Bezug auf Sexualität gehört hier z.B. die Frage der Entwicklung der Geschlechts-Identität, die Untersuchung frauenfeindlichen Einstellungen einer Gesellschaft oder Zusammenhang von Sexualität und Bindung.
Mein Vortrag beschäftigt sich vorwiegend mit dieser zweiten Ebene. Dabei vertrete ich eine Ansicht, jede Eigenschaft einer Person ein Resultat der Interaktion zwischen Natur und Kultur ist, ohne dass es möglich ist, ihre jeweiligen Anteile zu quantifizieren. Die Verschränkung zwischen, Evolution, Biologie und Kultur ist stets in Bewegung. Was uns bleibt, ist die Reflexion darüber, wie diese Faktoren in den verschiedenen Epochen zusammengewirkt haben. In meinem Vortrag werde ich vor allem untersuchen wie unsere Kultur von Antike bis zur Moderne unsere grundsätzliche Einstellung zu sexueller Lust prägte und geschlechtsspezifisch definierte. Ich bin überzeugt – zumal der Mensch seine Kultur stets neu erschafft – dass eine so verstandene Reflexion wichtige Hinweise für die Gestaltung unserer Sexualität heute und in der Zukunft ergeben kann.
- Der Sündenfall, Grosses Zittauer Fstentuch, 1472, Bild: Abegg Stiftung Riggisberg
THEMEN DES VORTRAGS IM ÜBERBLICK
TEIL 1. SEXUALITÄT IN DER KULTUR DES PATRIARCHATS
· Antike: Entmystifizierung der heidnischen Sinnlichkeit
· Frühchristentum und im Mittelalter: Religiöser Eifer und Kultur der sexuellen Disziplinierung
· Sieg der Aufklärung: Sexualität wird zur Privatsache
· Aufstieg der sexuellen Freiheit und Libertinage – männliche Promiskuität und weibliche Tugend
TEIL 2. IRRWEGE UND ERRUNGENSCHAFTEN DER SEXUALLWISSENSCHAFT
· Verhängnisvolles Erbe von Dr.Kraft-Ebbing
· Errungenschaft des 21. Jh.: Korrekte Darstellung der weiblichen sexuellen Organe
· „Frauen sind von Venus und Männer sind vom Mars“ – Mythen über die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Sexualität aus neurobiologischer Sicht
· Übergreifendes neuroendokrines Regulationsmodell von sexueller Aktivität und Bindung und die Frage der sexueller Kontrolle
· Blick in die Zukunft: Welche Beziehungs-Modelle ergeben sich aus den neuen Erkenntnissen?

Dieser 1,5 Stündige Vortrag, der auch eine Power-Point Präsentation umfasst, kann bei mir gebucht werden. Senden Sie mir eine Anfrage an die Adresse: atelier@entrenous.ch