
Meine Faszination mit der japanischen Kultur besteht seit meiner Jungend und wurde durch die Romane des japanischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Yasunari Kawabata geweckt, die ich als junges Mädchen in der Bibliothek meiner Pflegemutter fand. Die geheimnisvollen Titel wie „Schneeland“ , „Tausend Kraniche“ und „Die Stimme des Berges“ oder „Die schlafenden Schönen“ weckten meine Neugierde und ich erlag schnell der Magie altjapanischer Traditionen und Mythen und Kawabatas origineller Sprache. Seine Dialoge bestehen oft aus wagen Andeutungen, Bildfolgen sind gleichsam musikalisch komponiert. Seine Protagonisten sind meistens durch tiefe Emotionen der Liebessehnsucht und Trauer bewegt, doch bleibt ihr inneres Leben verborgenen und drückt sich höchstens symbolisch aus – im Muster des getragenen Kimonos oder in einer Teeschale, die man als Geschenk der geliebten Person überbringt.

Erst viele Jahre später entdeckte ich die Zeichnungen von Kitagawa Utamaro. Mit dem Beginn der Kansei-Zeit (1789–1819) schuf er eine Anzahl von Frauen-Porträts, die als bijin ōkubi-e bekannt wurden, also Bilder, in denen die Köpfe der Porträtierten das ganze Blatt einnehmen. Die Frauen in den Zeichnungen von Utamaro sind mit Detail-Reichtum dargestellt, umfassen verschiedene Temperamente, soziale Klassen und offenbaren auch innere Zustände der Dargestellten. Damit unterscheiden sie sich von den idealisierten, ausdruckslosen Schönheiten, die das populär gewordene Genre überflutet haben.


Bijin-ga gilt mittlerweile als Gattungsname für Holzschnitt – Darstellung ( ukiyo-e) von schönen Frauen, die jeweils dem zeitgenössischen Schönheitsideal entsprachen, unabhängig von der Entstehungszeit der Kunstwerke. Die Geschichte dieser Kunstgattung erlaubt die allmählichen Veränderungen des weiblichen Schönheitsideal in Japan zu verfolgen.


Um meiner langjähriger Faszination mit der japanischen Kultur Rechnung zu tragen, habe ich 2005 für mich ein traditionelles japanisches Kostüm angefertigt, das aus einem festlichen Kimono, einem Unterkimono (nagajuban) und einem Obi besteht. Der Kimono wurde von mir, gemäss der japanischen Tradition, von Hand genäht, wobei die gesamte Kreation mehr als 50 Stunden Arbeit benötigte. Um das Kimono Tragen zu können habe ich mich von einer japanischen Kimonomeisterin unterrichten lassen. Auch die meisten japanischen Frauen wären nicht in der Lage, ohne weitere Hilfe einen Kimono korrekt anzuziehen. Die typische Ausstattung für Frauen umfasst normalerweise zwölf oder mehr einzelne Stücke, die jeweils auf eine bestimmte Weise angelegt werden müssen. Es gibt daher noch immer professionelle Kimono-Anlegegehilfen, die man vor allem für besondere Anlässe zur Unterstützung anstellen muss.

In der Literatur unternahm der Nobelpreisträger Yasunari Kawabata ein bemerkenswerter Versuch der Auseinandersetzung mit der weiblichen Schönheit und Erotik. Sein Roman „Die schlafenden Schönen“ aus dem Jahr 1960 fasziniert mich seit vielen Jahren und ich werde am 29. Februar 2020 in meinem Salon eine Lesung aus diesem Roman anbieten.

Protagonist des Romans ist ein Mann an der Schwelle zum Alter wird von einem Freund in ein Freudenhaus besonderer Art eingeführt. Das Haus ist nur für ältere Männer bestimmt und bietet junge Frauen im Tiefschlaf an. Eguchi verbringt – in immer kürzer werdenden Abständen – mehrere Nächte neben immer anderen jungen Frauen und Mädchen. Eine jede weckt andere Phantasien, andere Erinnerungen an Frauen, die Eguchi in seinem Leben gekannt hat – an die eigene Ehefrau und die Töchter, an Geliebte, an Bekanntschaften einer Nacht. Im Mittelpunkt der Erzählungen steht die Beschreibung der Schönheit und Erotik der jungen Frauen, die Kawabata mit seinem geschulten Empfinden für Ästhetik gekonnt ausführt. Die Spannung entsteht, gerade weil zwischen Eguchi und den Mädchen immer eine Distanz bleibt und die Mädchen letztlich für ihn unerreichbar bleiben. Trotz der moralischen Bedenken, ob es richtig ist, neben wehrlosen, wie Spielzeuge für ihn hergerichteten Frauen zu schlafen, ziehen ihn die schlafenden Schönen immer wieder aufs Neue an und er ist geneigt herauszufinden, was es mit dem Freudenhaus auf sich hat. Doch ehe er das Geheimnis aufdecken kann, kommt es zu einer Katastrophe. Eine Geschichte, die in der patriarchalischen Kultur eingebettet ist und Fragen betreffend der Verdinglichung der Frauen aufwirft. Anderseits ist es eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Eros, die der heutigen Überhöhung aktiver Sexualität entgegenläuft und einen Zugang zu sinnlicher Melancholie eröffnet.

Samstag, 29. Februar 2020, 17 Uhr – „Die schlafenden Schönen“ – Thomas Blubacher liest aus dem Roman von Yasunari Kawabata, Moderation und Kimonovorführung – Beata Sievi.
Ort: Beata Sievi`s Salon Bibliothek, Winterthur. Eintritt CHF 65 ( inkl. Konsumation). Anmeldung: salon@beatasievi.ch. (Der Salon ist ausgebucht, es besteht eine Warteliste)