Korsett und Emanzipation

Text von Beata Sievi

In den 20 Jahren meiner Arbeit als Korsettdesignerin wurde ich immer wieder darauf hingewiesen, besonders gern von Journalisten, dass das Korsett ein Symbol der weiblichen Unterdrückung sei. Diesen Vorurteilen versuchte ich stets mit Gelassenheit zu begegnen. Nachdem ich in den letzten zwei Jahren eine Reihe kultureller Veranstaltungen organisiert habe, die die Befreiung der weiblichen Sexualität aus den Fesseln des Patriarchats thematisieren, werde ich nun erst recht gefragt, wie ich Korsetterie und Emanzipation miteinander verbinde. Die Antwort: Es ist nicht das Korsett, das weibliche Verführung mit Unterdrückung verbindet, sondern das Patriarchat. Denn Korsetts können Frauen durchaus darin bestärken, ihre Rechte und ihr Vergnügen aktiv einzufordern.

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Lady showing bracelet to her suitor, Jean-François Detroy 1734

Korsett und erotische Subjektivität der Frau

Als ich mich vor 20 Jahren mit der Geschichte des Korsetts zu befassen begann, stiess ich auf die Werke der amerikanischen Modeforscherin Valerie Steele. Die Untersuchung konkreter historischer Beispiele führte sie in ihrem Buch „The corset. A cultural history“ zum Schluss, dass ein Mieder schon früh ein Mittel der selbstbewussten Inszenierung weiblicher Schönheit war und in Verführungen gekonnt eingesetzt wurde. Frauen des 18. und 19. Jh. waren weit davon entfernt, lediglich Objekte des männlichen Begehrens zu sein, sondern  spielten aktiv mit ihrer modischen Aufmachung. Valerie Seele lieferte mir damit einen Beweis für meine vage Intuition, dass es zu kurz greift, Korsetts per se mit Einschnürung und Unterdrückung gleichzusetzen.

Heute, nach der Lektüre der Werke der berühmten Soziologin Eva Illouz, würde ich zu der Analyse von Valerie Steele gerne etwas ergänzen.  In ihrem Werk „Warum die Liebe weh tut“ argumentiert Eva Illouz, dass Schönheit und sinnliche Anziehungskraft in der patriarchalischen Gesellschaft über Jahrhunderte so etwas wie ein „erotisches Kapital“ darstellten. Diese auf dem Heiratsmarkt und in illegitimen Liaisons bewusst eingesetzte Währung ermöglichte es Frauen, einen sonst unzugänglichen ökonomischen oder sozialen Status zu erreichen. Bei diesem Tauschhandel wurden ihre sexuellen Bedürfnisse nur angedeutet und blieben oft unbefriedigt, was mit mangelndem Wissen über die weibliche Sexualität und mit rigiden Moralvorstellungen zusammenhing, welche die Sexualität nur innerhalb der Ehe legitimierten. Dennoch waren zumindest die Bindungswünsche der Frauen anerkannt und mit der Rolle der Ehefrau und Mutter ging  soziale Anerkennung einher.

Edmund Blair Leighton - Signing The Register
Edmund Blair Leighton 1920 – Signing The Wedding Register

 

Erotische Freiheit und fehlende Selbstbestimmung

Heute ist die Situation anders. Das fundierte Wissen über weibliche Sexualität ist vorhanden und gut zugänglich und die Einschränkungen der Religion sind weggefallen. Wie steht es aber um die weibliche Selbstbestimmung in den intimen Beziehungen in dieser neuen Epoche der Befreiung? Eva Illouz ist überzeugt, dass Frauen die grossen Verliererinnen der sexuellen Revolution sind. Sie haben heute zwar einen besseren Zugang zu Bildung und grössere Chancen auf beruflichen Erfolg, dennoch bleiben die grossen Reichtümer und somit die ökonomische Macht der Männer immer noch unangetastet. Die Tatsache, dass die Sexualität aus den Schranken der Ehe befreit wurde, Frauen aber ökonomisch benachteiligt blieben, half den Männern in den letzten 50 Jahren eine neue sexuelle Kultur herauszubilden, die sich vor allem an ihren Bedürfnissen nach Abwechslung, Bindungslosigkeit und Sexyness orientiert. Innerhalb dieser Kultur, die nach den Prinzipien des kapitalistischen Markts von Angebot und Nachfrage funktioniert, sind Frauen einer starken Konkurrenz untereinander ausgesetzt und haben keine Druckmittel um sich den männlichen Normen und Bedürfnissen zu entziehen. «Die Sexualität zu befreien, ohne die wirtschaftliche und politische Macht der Männer anzutasten, bedeutet, Frauen auf einem offenen und deregulierten Markt in eine strukturell prekäre Lage zu bringen.» – sagt Eva Illouz im Interview für Philosophie Magazin Nr.3/2018.

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Billiard-Spieler. Bild: Ewald Vorberg

Auch die junge Philosophin Margret Stokowski kommt in ihrem Buch «Untenrum frei» zu ähnlicher Schlussfolgerung: «Während wir glauben, wir hätten die Fesseln des Patriarchats längst gesprengt, haben wir nur gelernt in ihnen shoppen zu gehen». Dabei bezieht sie sich auf die Tatsache, dass sehr viele Frauen in den erotischen Begegnungen immer noch auf ihr erotisches Vergnügen verzichten. Dies bestätigen Psychologinnen und Sexologinnen wie Martha Meana, Peggy Orenstein, Tabea Freitag und Sandra Konrad, die sowohl mit reifen als auch mit jungen Frauen arbeiten. Die Forscherinnen machen darauf aufmerksam, dass vielen Frauen von heute der Zugang zum eigenen sinnlichen Empfinden fehlt. Oft wissen sie kaum, was sie wollen, und lassen sich deshalb auf sexuelle Praktiken ein, die ihnen keinen Spass bereiten. Sie täuschen den Männern ihre Erregung vor und stellen das eigene Vergnügen hintenan. Woran liegt es, dass viele Frauen selbst nach der sexuellen Revolution so bereitwillig Männer befriedigen und so wenig Engagement für die Erfüllung ihrer eigenen sexuellen Wünsche zeigen?

Psychologische Forschungen nennen unterschiedliche Gründe. Erstens sind viele Frauen immer noch überzeugt, dass sie durch sexuelle Unterwerfung das Interesse des Mannes gewinnen oder dieses erfolgreich aufrechterhalten können. Insbesondere, wenn es um die erste Verliebtheit geht, steht die Sexualität im Dienst der Bindung und wird unbewusst instrumentalisiert. Hier ist das eigene Vergnügen noch involviert, aber das erotische Potential wird oft nicht ausgeschöpft, weil Mädchen ihre Climax und all das, was zu ihr führen könnte, von ihren jungen Partnern nicht einzufordern wissen. Auch in Langzeitbeziehungen kommen viele Frauen nicht auf ihre Kosten, weil ihnen die Lust mit den Jahren abhandenkommt. Gefangen in dem Modell der monogamen Ehe, verzichten sie auf erregende Abenteuer und zwingen sich, die eheliche Pflicht auch ohne Lust zu erfüllen.

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Ein Hochzeitspaar. Roberto Donetta 1922

Als zweite Gruppe der Motive, weshalb Frauen auf die männlichen sexuellen Wünsche reagieren, auch wenn sie selbst dabei nicht erregt sind, nennen die Forscher Befriedigung unterschiedlicher sozialer Bedürfnisse. In vielen persönlichen Interviews und Fragebogen mit Heranwachsenden zeigt sich, dass vor allem Fellatio eine verbreitete Praktik ist, die nur von den Männern mit körperlicher Lust betrieben wird. Junge Frauen hingegen schildern sie als eine „unpersönliche Angelegenheit“ und sie vergleichen Oralverkehr sogar mit einem Zahlungsmittel, das ihnen besondere Dienste leistet. Ganz anders als vor 30 Jahren, als orale Stimulation noch als Zeichen einer ganz grossen Intimität galt.

Die Befragungen von Jugendlichen zeigen zwei Hauptmotive, weshalb junge Frauen Männer oral befriedigen, selbst wenn sie dabei weder emotionell engagiert noch erregt sind. Einerseits versuchen sie damit in Situationen grossen Drucks – bis hin zur Erpressung – den Partner mit oralem Sex zu besänftigen, ohne in den Geschlechtsverkehr einwilligen zu müssen. Die Häufigkeit, mit welcher sie diese Strategie anwenden, deutet daraufhin, dass männliche Dominanz im heutigen Dating sehr oft vorkommt und es den Frauen an anderen Mitteln, damit umzugehen, komplett fehlt. Zudem gibt es, aller Aufklärung zum Trotz, heute noch Frauen, die glauben, dass Männer aufgrund der hormonellen Unterschiede von der sexuellen Spannung befreit werden müssen und dass Verantwortung dafür einer Frau obliegt. Als zweites Motiv für ihre Fügsamkeit führen viele Mädchen an, dass eine Einwilligung in Fellatio ihnen „die richtige Art der Popularität“ unter den Männern einbringt und ihren Status in der Peer-Gruppe erhöht. Offenbar setzt hier die von Männern produzierte Pornografie bereits im Alltag die Standards dafür, was Frau für einen Mann interessant macht.

Gefragt nach ihrem eigenen Empfinden geben Mädchen zu, dass sie bei solchen Praktiken keinen wirklichen Spass haben. „But it’s definitely not the physical side of it, because that’s so gross and it really hurts my throat. I mean, it’s sort of fun getting in the rhythm of it. But it’s never fun fun”, meinte eine 18-Jährige, die von Peggy Orenstein interviewt wurde. Diese Haltung unterstützen bedauerlicherweise zahlreiche Frauenzeitschriften, indem sie nicht nur einfache Tipps für Fellatio abgeben, sondern auch – wie z.B. in der Online- Version von Glamour und Freundin – Frauen belehren, wie es möglich ist, sogar den Würgereflex abzutrainieren, um den berühmten „Job“ besser zu verrichten.

„Würde die Menschheit dieselben Anstrengungen in die Raumfahrt stecken, wie die Redaktionen von Frauenzeitschriften in Blowjob-Ratgeber, könnten wir längst zum Kaffeetrinken auf den Mars“ – bringt es Margret Stokowski auf den Punkt.

Auch ich betrachte die gegenwärtige Situation als höchst problematisch und alarmierend. Das grösste Potential der Sexualität liegt in der Reziprozität! Sexuelle Praktiken, in welchen männliche Bedürfnisse nach sexuellem Vergnügen selbstverständlich befriedigt werden, während die Frau ihre körperlichen und emotionalen Empfindungen gänzlich abspalten muss, um daraus irgendeinen sekundären psychischen oder sozialen Nutzen zu ziehen, kreieren ein ungesundes strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Sie entfremden beide Agierende vom Glückspotential, das einer reziproken erotischen Begegnung innewohnt. Eine derartige Instrumentalisierung der weiblichen Sexualität untergräbt zudem die Integrität der Frau und zementiert die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen.

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“Orgasm is a human right”

Die erotische Anziehung zwischen den Menschen ist eine Urkraft. Von Anbeginn meiner Arbeit als Korsettdesignerin habe ich mich als Botschafterin dieser Kraft verstanden. Meine Korsetts sind dazu bestimmt, in den heterosexuellen Beziehungen die weibliche Verführungskraft zu bestärken. In meinen Kreationen sehen Frauen so aus, wie sie es sich wünschen und wie das männliche Auge es erträumt. Der begehrende Blick eines Mannes vermag dafür die weiblichen Sinne anzuregen. Hier stehen sich beide Geschlechter in ihrer vollen Potenz als gleich starke Wesen gegenüber. «Potent zu seinbedeutet, von der Möglichkeit in die Aktivität zu kommen», sagt Philosophin Svenja Flasspöhler in ihrem Essay «Die potente Frau» und sie fordert dazu auf, den in unserer Kulturgeschichte männlich konnotierten Begriff der Potenz neu zu definieren. Dies könnte damit beginnen, dass Frauen sich dazu entscheiden, ihr sexuelles Vergnügen aktiv einzufordern und darauf zu beharren, dass ihr Potenzial in sinnlichen Begegnungen sowohl Entfaltung als auch Kulmination findet.

Literatur:

The corset. A cultural history. – Valerie Steele
Warum Liebe weh tut. – Eva Illouz, Surkamp 2016
Girls & Sex: Navigating the Complicated New Landscape.– Peggy Orenstein, Paperback 2017
Die versteckte Lust der Frauen. – Daniel Bergner, Knaus 2014
Emotionale Gewalt durch Pornografie und frühe Sexualisierung. -Tabea Freitag in: Bindung und emotionale Gewalt – Karl Heinz Brisch(Hrsg.), Klett-Cotta 2017
Das beherrschte Geschlecht. – Sandra Konrad, Piper 2017
Untenrum frei. – Margret Stokowski, Rowohlt 2017
Die potente Frau: eine neue Weiblichkeit. – Svenja  Flasspöhler, Ullstein Verlag 2018

Eine Lesung zu dem Thema „Von Freiheit zur Selbstbestimmung“ veranstalte ich zusammen mit Julia Knapp am 9. Februar 2019. Weitere Informationen finden Sie hier.

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